Die sensomotorische Trainingstherapie – ein Meilenstein in der WS-Rehabilitation

Internationale Studien belegen mittlerweile zweifelsfrei, dass beim chronischen Rückenschmerz nicht der Schmerz selbst, sondern die über Schonhaltungen und Schonbewegungen entstandenen komplexen Muskelabschwächungen der Rücken-stabilisatoren überwiegend für die Aufrechterhaltung von Rückenschmerzen (über Monate bis Jahre) verantwortlich sind.


Was läuft genau schief, dass der Patient wie bei einer hängengebliebenen Schallplatte in der schmerzhaften Einschränkung der Bewegung gefangen ist?
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Irgendwann löst eine mehr oder weniger ernsthafte Wirbelsäulenproblematik im Körper einen subjektiv stark beein-
   trächtigenden Schmerz aus. Dabei verfolgen wir heutzutage eher die Auffassung, dass Schmerz zumeist nicht von einer
   Ursache herrührt, sondern von mehreren Faktoren, wie bei einer Waagschale, die aus dem Gleichgewicht kommt, weil
   auf der negativen Schale ein oder zwei Faktoren zuviel, und auf der positiven Schale einige Faktoren zuwenig sind.
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Der Schmerz führt, einem prinzipiell sinnvollen Schutzmechanismus des Körpers folgend, zu einer drastischen Rücknahme
   des Aktivitätsniveaus verbunden mit einem ausgeprägten Angstvermeidungsverhalten.
- Dadurch kommt es innerhalb weniger Wochen zu einem signifikanten Abbau der großen, besonders aber auch der kleinen,
   segmental stabilisierenden Muskulatur der Wirbelsäule. Dies hat zur Folge, dass es im Bereich der hauptbetroffenen
   Wirbelsäulensegmente zu einer funktionellen Instabilität kommt. Durch den teilweisen bis abschnittweise völligen Ausfall
   der Stützfunktion der phasischen Muskulatur (=Stoßdämpferfunktion der Haltemuskulatur) werden die passiven
   Bewegungsapparatstrukturen (Bänder, Sehnen, Gelenkskapseln, ...) rasch überlastet. Dort ist jedoch die Schmerz-
   rezeptorendichte besonders groß und löst noch mehr Schmerz aus, der wiederum zu einer weiteren Schonung führt. Die
   Belastbarkeit sinkt zunehmend und ist bereits für alltägliche Aktivitäten vollkommen unzureichend.


Dieser Logik folgend liegt der therapeutische Ansatz der Wahl daher auch bei jahrelangem Rückenschmerz im gezielten Wiederaufbau der Rückenstabilisatoren in allen Ebenen. Dies führt bei ca. 80-85% der betroffenen Patienten neben einer Reduktion von Schmerzepisodenfrequenz und -dauer zu einem eindrucksvollen Ansteigen der Belastungsfähigkeit und damit der Lebensqualität.

 

So schön, so gut - welche Rolle spielt nun die Sensomotorik?
Dazu müssen wir uns noch ein Stück weiter in die Ursachenkette hineinversetzen: Schmerz führt nicht nur zu Schonbelastungen und Schonhaltungen. Er beginnt bereits in den ersten Wochen im Rückenmark in bestehende Bewegungsmuster einzugreifen. Die Fähigkeit der neuronalen Plastizität ermöglicht dem Rückenmark die Anpassung von schwierigsten Bewegungsabläufen an geänderte äußere Gegebenheiten. Wir können aufgrund des Ersatzes des normalen Bewegungsmusters durch Hilfsbewegungsmuster z.B. nach Unfällen, Operationen oder Krankheiten wieder laufen, greifen oder sprechen lernen.
Beim chronischen Rückenschmerz stellt diese Fähigkeit des Rückenmarks zur schnellen und unbedingten Anpassung jedoch einen der wichtigsten Mechanismen zur Aufrechterhaltung der Beschwerden dar! Die Ausweich- und Schonbewegungen sowie Schonhaltungen sind eben auch solche geänderten Gegebenheiten. Bereits nach wenigen Wochen beginnt sich das Rückenmark zu fragen, ob diese Schonbewegungen nun als neues „Normalbewegungsmuster“ gelten sollen und scheint schließlich die bestehende „Normalbewegungsdatei“ durch das Fehlmuster zu ersetzen. Das bedeutet, dass ab diesem Zeitpunkt das Fehlmuster als „normal“ abgespeichert ist. Der Patient bemerkt nicht mehr ausreichend, in welchem Ausmaß er eigentlich bei den verschiedensten Bewegungsabläufen schief geht, hinkt oder ausweicht - weil ihm der normale Vergleichswert fehlt.

Und genau hier hilft die reine Muskelkräftigung auch mit Kraft-Therapiegeräten nicht mehr. Basierend auf der Kenntnis der Rückenmarksplastizität ist es nur eine logische Konsequenz, dass eine ausschließliche Kräftigung abgeschwächter Wirbelsäulenstabilisatoren auf dem Fundament eines Fehlbewegungsprogrammes nicht sinnvoll ist. Denn im Extremfall mauern wir damit das Fehlmuster nur noch weiter ein.

 

Wie kann man diese Problemstellung möglichst mechanismusorientiert angehen?

Da bereits unsere Alltagsaktivitäten aus komplizierten mehrdimensionalen Bewegungsabläufen bestehen, muss ein langfristig effektives Therapiekonzept diesen Gegebenheiten Rechnung tragen. Zum Erreichen des bestmöglichen, d.h. dreidimensional gut koordinierten Bewegungsablaufes muss ein hochqualitatives Therapiekonzept daher drei wichtige Anforderungen erfüllen:

1.    Es muss besonders zu Therapiebeginn die Möglichkeit bieten, bei den noch sehr gefährdeten und zögerlichen Bewegungen des Patienten jede Dimension isoliert zu trainieren (im Wirbelsäulenbereich sind das die Beugung und Streckung, die Seitneigung und die Drehung des Kopfes bzw. Rumpfes). Dies ist nicht nur für die Wirksamkeit, sondern besonders für die Sicherheit in den ersten Wochen unumgänglich.

2.    Während des gesamten Verlaufes eines komplexen Polymodal-Therapieprogrammes – im Schnitt über einen Zeitraum von ca. 12 Wochen - muß bei der Übungsausführung eine hohe Betreuungsintensität und -qualität gewährleistet sein, um die Bewegungsabläufe möglichst exakt anzuleiten und zu führen - bei paincare betreut ein speziell geschulter Trainingstherapeut maximal 2-3 Patienten gleichzeitig. Erst wenn das Fehlbewegungsprogramm wieder durch das für diese Person optimale Bewegungsmuster ersetzt ist, verlagert sich der Trainingstherapieschwerpunkt langsam in Richtung Kraftausdauersteigerung und dann Muskelfaserwachstum der betroffenen 3-dimensionalen Stabilisierungsmuskulatur. In Analogie zur Informatik könnten wir sagen, dass zuerst die Software, dann erst die Hardware therapiert wird.

3.    Die analysegestützte Wiederherstellung der „normalen“ Kraft in den drei Bewegungsebenen muss immer kombiniert werden mit einem möglichst fein abstufbaren Koordinations- d.h. Geschicklichkeitstraining – dabei sollte man den Patienten koordinativ dort abholen, wo er gerade steht. Stufenweise wird dabei mit verschiedenen modernsten Hilfsmitteln zuerst eine Festigung der wiederhergestellten Bewegungsphysiologie angepeilt. Anschließend wird die Komplexität der Abläufe immer weiter gesteigert, sodass der Patient bei Beendigung seines polymodalen, medizinischen Trainingstherapieprogrammes im besten Fall koordinativ weit über dem liegt, was er/sie für seine individuellen Alltagsanforderungen benötigt – das gibt ihm Sicherheit und einen wirkungsvollen Schutz vor neuerlicher Schmerzepisoden.

 

Wo setzen wir im sensomotorischen Regelkreis therapeutisch an?

Nicht im Rückenmark, sondern in der Peripherie bei den Lagewahrnehmungsrezeptoren, den Propriozeptoren. Diese sind die „Tonabnehmer“, die dem Rückenmark die äußeren Anforderungen an unseren Körper melden, die schnellstmöglich eine Anpassung der Körperposition und der optimalen Muskelspannung z.B. beim Stolpern ermöglichen. Therapeutische Hilfsmittel für das sensomotorische Training stellen schon seit vielen Jahren Geräte wie u.a. der Therapiekreisel oder das Schaukelbrett dar. Der Nachteil der meisten „althergebrachten“ Hilfsmittel ist die schlechte Steuerbarkeit und damit erst recht die "Verreiss"-gefahr sowie das Fehlen einer möglichst stufenlosen Veränderung des Schwierigkeitsgrades. Damit werden sie den vielfältigen Bewegungsabläufen, die wir im Alltag benötigen, in keiner Weise gerecht.

Modernste Therapieansätze
Seit einigen Jahren stehen uns bei paincare äußerst effektive neue Therapiegeräte zur Verfügung. Dabei handelt es sich z.B. um den Spacecurl, nach wie vor die weltweit einzige Möglichkeit, Koordination dreidimensional und feinabgestuft zu trainieren. Das therapeutische Klettern spricht vor allem die Ganzkörperspannung und die schrägen Ganzkörpermuskelketten an. Beim Vibrationstraining werden in hoher Wiederholungsfrequenz wichtige Reflexschleifen und die dafür notwendigen Strukturen trainiert. Mit der Slingtherapie lassen sich komplexe Ganzkörpermuskelketten neu "programmieren" und ganze Funktionsabschnitte (z.b. Schultergürtel + HWS + BWS) wieder leistungsfähig verschalten. Die Slacklinetherapie ist besonders für Reinnervationsschulungen im Regelkreis des unteren Quadranten effektiv und spannend einzusetzen und mit dem Sensewave, der neuesten Entwicklung aus Medizin, Meßtechnologie und Sport, läßt sich neben einem völlig neuen propriozeptiven Trainingsmechanismus die 3-dimensionale Koordination in ungeahnter Genauigkeit analysieren.

Vor allem durch die Kombination der o.a. High-Tech-Trainingstherapie bei paincare steht uns ein faszinierendes Instrumentarium zur Wiederherstellung gesunder Bewegungsprogramme im Bewegungsapparat, insbesonders der Wirbelsäule, zur Verfügung. Dies ermöglicht in vielen Fällen auch bei zum Teil scheinbar schlechten Voraussetzungen eine Bewegungsfähigkeit auf einem befriedigendem Niveau, wodurch sich die Lebensqualität von vielen Patienten wieder signifikant steigern läßt.